Die Rheinische Post Duesseldorf schrieb am 15. Mai 2004 (Redakteurin: Kristin Vogt)

Unterricht im Schlafanzug
Online lernen kann man auch morgens um Sieben. Der Telecoach muss auch ein guter Alleinunterhalter sein. Im virtuellen Klassenzimmer gilt ebenfalls: erst melden, dann sprechen.Ein fast normales Klassenzimmer: Vorn an der Tafel steht Dirk Küpper und erklärt seinen Schäfchen voller Elan die Prinzipien der Mail- und Datenverschlüsselung. Dass einige Schüler während des engagierten Vortrags bequem die Beine auf den Tisch legen, herzhaft in einen Döner mit extra viel Zwiebeln beißen oder sich einen Glimmstengel anstecken, stört den Lehrer auch nicht. Auch nicht das der Klassenprimus heute einen karierten Schlafanzug trägt und dass seine Mitschülerin samt Lockenwicklern im Haar und Gurkenmaske im Gesicht erschienen ist. Küppers Schüler sind viel aufnahmebereiter, wenn sie sich wohl fühlen. Außerdem kann der Lehrer seine Klasse gar nicht sehen und die ihn auch nicht.

Ein e-Trainer braucht Gespür
Dirk Küpper unterrichtet nicht an einer Schule für Blinde oder geruchsgestörte Exzentriker. Er ist von Beruf e-Trainer, sein Arbeitsplatz ein virtuelles Klassenzimmer. Wie erklärt er Internetmuffeln und Menschen mit einer Computer-Phobie diesen ungewöhnlichen Beruf? Zunächst stellt er klar, Lehrer sei er nicht. Vielmehr sieht er sich als Coach, Kumpel und kompetenten Dienstleister in einer Person. Seine Kursteilnehmer wollen um sieben Uhr morgens lernen? Kein Problem. Die Lernenden müssen nur die Software für das virtuelle Klassenzimmer von seiner Homepage auf Ihrem PC zu Hause installieren. Schon kann der e-Trainer von seinem Arbeitsplatz aus auf Ihren Rechner schauen und ihnen bei allen Problemen und Fragen helfen. Über Headset und Tastatur wird miteinander kommuniziert. Aber bitte nicht alle auf einmal, weshalb auch im virtuellen Klassenzimmer gilt: erst Melden, dann Sprechen!

Ein e-Trainer muss sich aber nicht nur mit Pädagogik und IT auskennen, sondern auch ein gewiefter Alleinunterhalter sein. Denn anders als im echten Klassenzimmer sind die Teilnehmer nicht moralisch an Ihren Stühlen festgenagelt. Wenn der Internetastronaut sich langweilt, kann er klammheimlich aus dem virtuellen Klassenzimmer wegsurfen oder ganz abschalten. Daher ist eine gute Ausbildung für e-Trainer wichtig, obwohl auch Quereinsteiger eine Chance haben. Ein Telecoach muss darüber hinaus Online-Unterrichtsmaterialien selbst konzipieren können. Eine der wichtigsten Fähigkeiten, die ein angehender e-Trainer erlernen muss: die Beobachtung und Deutung der Aktivität im Klassenzimmer. Wo ein normaler Lehrer etwas an den Gesichtern seiner Schüler ablesen kann, muss der e-Trainer sozusagen einen siebten Sinn entwickeln. Will Dirk Küpper wissen, ob ihm seine Schüler folgen, schickt er Ihnen zum Beispiel die Frage „Alles verstanden?“ auf den Bildschirm. Wie oft die Schüler „Ja“ oder „Nein“ anklicken, ist für ihn ein wichtiges Feedback. Ein schlechtes Zeichen, wenn ein Teilnehmer gar nicht antwortet. Der hat sich unter umständen schon verabschiedet.

Nachhilfe im Chatroom
Auch den Quatschraum (Chat) muss ein e-Trainer wie ein Luchs im Auge behalten. Haben die Schüler etwas im Unterricht nicht verstanden, bitten sie dort ihre Mitschüler um Nachhilfe. Wird zuviel über Privates gequatscht, kann der e-Trainer den „Chatroom“ auch dicht machen und seine Schüler zu einer Sonderaufgabe abkommandieren. So kann er eine Gruppe in ein seperates Klassenzimmer schicken, wo sie eine Aufgabe lösen müssen. Klar, dass das angestrengte Starren auf den Bildschirm ermüdend ist. Deshalb lässt Dirk Küpper zur Auflockerung schon mal Musik laufen oder erzählt einen Witz. Damit das Lernen im Internet nicht allzu anonym ist, stellen der e-Trainer und seine Schüler Fotos von sich ins Netz. Früher oder später, weiß Dirk Küpper, haben die Schüler wahrscheinlich Lust auf ein richtiges Klassentreffen. So haben schon viele nützliche Netzwerke angefangen.